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Historikerkommission - Übersicht - Arbeitsverlauf  2004-2010

Historikerkommission

 

 

Die Dresdner Historikerkommission (2004 - 2010)

 

 

Am 24. November 2004 berief der Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg eine Historikerkommission, um „die Zahl der Toten infolge der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 noch einmal zu ermitteln und Aussagen über unterschiedlich hohe Opferzahlen zu prüfen“. Zugleich übernahm er die Leitung dieser Kommission.

 

Der Hintergrund für seine Entscheidung war politischer Natur. Unterschiedliche, zum Teil sehr spekulative Opferzahlen kursierten seit 1945 in der Öffentlichkeit. Zudem hatten nach 1990 politische  Strömungen die langjährige DDR-offizielle Totenzahl (35.000) in Frage gestellt.

Hinzu kommt, daß 1992 eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung eine Auskunft zur Opferzahl erteilte. (Ursächlich handelte es sich dabei um die Beantwortung einer Zuschrift zum Protest der Stadt gegen das Harris-Denkmal in London.) Die genannte Opferzahl kursierte fortan im Netz und tat so ihr übriges zur Verwirrung.

 

Bereits im Jahr 2004, als politisch motivierte Gedenk-Demonstrationen anläßlich des 13. Februar die mediale und öffentliche Unduldsamkeit herausforderten, positionierte sich Roßberg (FDP) zum künftigen Gedenken an den 13. Februar:

 

"Und deshalb will ich an dieser Stelle ganz klar an die Adresse der rechtsradikalen Nationalisten sagen:

- Wir werden es nicht unwidersprochen lassen, dass der 13. Februar durch Eure dumpfe deutschtümelnde Propaganda, Eure nationalistischen Phrasen und Eure Geschichtsfälschung instrumentalisiert wird.

- Wir werden es nicht unwidersprochen hinnehmen, dass Ihr Antisemitismus in unserer Stadt verbreitet, Eure ausländerfeindlichen Parolen weiter Fuß fassen und Demokraten verleumdet werden.

- Wir werden alles daran setzen, Euch zu entlarven, als das, was Ihr seid: Populisten ohne Antworten, Schwadronierer ohne Inhalte, Politiker ohne Zukunft.

- Aber eins sei auch gesagt: Wir werden Euch nicht wichtiger nehmen als Ihr seid, sondern wir werden Eure Wähler überzeugen, dass Eure Parolen in der Realität wie Seifenblasen sind: Sie schillern bunt, sind gefüllt mit heißer Luft und zerplatzen bei der ersten Gelegenheit." (Quelle)

 

Schon aus dieser heftigen Bekundung heraus ließe sich die von ihm im Alleingang berufene Kommission erklären. Die Stadtverordneten hatte er in seine Entscheidung nicht einbezogen. Erst 2006 wurde der Finanzausschuß auf das fehlende Stadtratsmandat aufmerksam, als die Finanzierungsmittel den diesbezüglichen Etat des OB für über– und außerplanmäßige Aufgaben überschritten und Nachträge erforderlich wurden.

 

Roßberg erwartete von der Kommission eine endgültige Klarstellung der politisch strittigen Frage und aus ihrem Ergebnis abgeleitet eine nunmehr wissenschaftlich belegte, amtliche Opferzahl.

 

Zur Konstituierung der Kommission waren angefragt:

Prof. Dr. Wolfgang Benz, TU Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung

Götz Bergander, Journalist, Buchautor „Dresden im Bombenkrieg“.

Dr. Horst Boog, Luftkriegsexperte, vormals Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA)

Wolfgang Fleischer, Mitarbeiter Militärhistorisches Museum

Thomas Kübler, Amtsleiter Stadtarchiv Dresden

Prof. Dr. Dieter Müller, MGFA

Dr. Rüdiger Overmans, Freiberuflicher Historiker,

Prof. Rainer Pommerin, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, TU Dresden

Matthias Neutzner, Publizist, IG. 13. Februar,

Friedrich Reichert, Mitarbeiter Stadtmuseum Dresden

Dr. Helmut Schnatz, Buchautor „Tiefflieger über Dresden?

Nicole Schönherr, Mitarbeiterin Frauenarchiv im Stadtarchiv

Dr. Thomas Widera, Mitarbeiter Hannah-Arendt-Instituts

 

Benz und Pommerin sind nicht tätig geworden. Hingegen erfuhr die Kommission thematische Erweiterung durch

Dr. Judith Oexle, in Nachfolge Dr. Thomas Westphalen, Landesamt für Archäologie, Sachsen

Dr. Alexander v. Plato, Historiker.

Im Jahr 2010 in den Abschlußberichten als Autor nicht mehr vertreten

Friedrich Reichert, Mitarbeiter Stadtmuseum Dresden.

 

Ursprünglich waren Boog oder Benz als „Wissenschaftlicher Leiter der Kommission“ im Gespräch. Auf Boog, einem renommierten Experten der Luftkriegsgeschichte "ruhten vor allem die Hoffnungen, die Kommission werde vorurteilsfrei und ergebnisoffen forschen". (v.Leesen/PAZ/23.5.06) Mit Blick auf fehlende Kommunikationsmöglichkeiten und seine Pensionierung lehnte Boog diese Funktion jedoch ab. Er schlug Müller für diese Funktion vor. Boog gab damit nicht nur die richtungsweisende Empfehlung zur Leitung der Kommission, sondern empfahl dem versammelten Kollegium zugleich die Kenntnisnahme des Manuskripts der demnächst erscheinenden ersten Auflage des themengleichem Buchs von Schaarschmidt "Dresden 1945, Daten-Fakten-Opfer". Zu diesem Zeitpunkt (Anfang Januar 2005) war das ein sachlich gebotener Umstand, dem sich die Kommission jedoch später, unter Müller, konsequent entzogen hatte.

 

Oberbürgermeister Roßberg leitete die Arbeit der Kommission bis zu seiner Suspendierung im Mai 2006. Danach gewann die Öffentlichkeit nicht wieder den Eindruck, daß seine Amtsnachfolger, der kommissarisch eingesetzte Bürgermeister Vogel (parteilos) und später OB Orosz (CDU) die aktive und repräsentative Leitungsfunktion dieser Kommission übernommen hätten.

 

Rechenschaft gegenüber der Stadtverwaltung leistete die Kommission in Form von Arbeitsberatungen und Konsultationen. Bis September 2008 leitete Peter Teichmann vom Geschäftsbereich Oberbürgermeister die dazu notwendigen Koordinierungsarbeiten. Ab Oktober 2008 bekamen Thomas Kübler, Amtsleiter des Stadtarchivs, und Mitarbeiterin Nicole Schönherr diese Aufgabe übertragen.

 

In zahlreichen Pressemitteilungen und Aufrufen in den Jahren 2005 und 2006 und 2008 wurde die Bevölkerung zur Mitarbeit an dem Projekt aufgerufen. Die Resonanz war beachtlich. Zahlreiche, vor allem schriftlichen verfaßte Augenzeugenberichte erreichten direkt oder über lokale Zeitungsredaktionen das Zeitzeugenarchiv im Dresdner Stadtarchiv.

 

Die ständige Betonung des politischen Aspekts der vorgeblich streng wissenschaftlich arbeitenden Kommission irritierte die Öffentlichkeit. Hinzu kommt, daß Müller bereits vier Monate vor (!) Beginn der "ergebnisoffenen" Recherchearbeit äußerte, daß die Zahl 25.000 bis 35.000 unter den Experten als „zweifelsfrei gesicherte Größenordnung“ gelte.

 

Ähnliches war auch am 24.3.2005, bereits wenige Monate nach Beginn der Recherchearbeiten vom Pressesprecher des Oberbürgermeisters zu hören, der in einer Pressemitteilung über die raschen Zwischenergebnisse der Kommission informierte. Dazu auch Spiegel-Online.de vom 24.3.2005:

Das Gremium unter Vorsitz von Rolf-Dieter Müller, Leiter des militärhistorischen Museums Potsdam, hat alle schon bekannten Unterlagen und auch bisher noch nicht analysierte Archivdokumente durchforstet. Wie Stadtsprecher Kai Schulz heute mitteilte, gehen die Experten nunmehr von 25.000 Menschen aus, die bei den britisch-amerikanischen Luftangriffen am 13. und 14. Februar 1945 getötet wurden.

 

Auch hier wieder die Zahl 25.000 - nach nur vier Monaten Kommissionsarbeit! Das ist eine Zeitspanne, in der unter keinen Umständen alle Quellen zum Gesamtereignis mit wissenschaftlicher Gründlichkeit untersucht worden sein können, insbesondere hinsichtlich der vielen Unwägbarkeiten, um die es ja letztlich geht. 

 

Unbeeindruckt vom Wissen um die große öffentliche Aufmerksamkeit, oder gerade deshalb, tat sich Müller durch weitere mediale Schnellschüsse hervor. Mißtrauen gab es, zumindest aus Dresdner Sichtweise, auch wegen der personellen Besetzung der Kommission. Befanden sich doch darunter mehrheitlich Westdeutsche, die die Dresdner Ereignisse von 1945 nicht aus eigener Erfahrung kannten, u.a. der Koblenzer Dr. Helmut Schnatz, der den Dresdnern seit der zugespitzten Tiefflieger-Kontroverse aus dem Jahr 2000 bestens bekannt ist.

 

Diese Stimmungslage bestätigte Müller auf seine Weise anläßlich eines öffentlichen „Workshops“ am 26. April 2006 im Deutschen Hygiene-Museum, wo die Kommission im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit ihre Arbeitsmethoden vorstellte.

 

Und so geriet die Kommission auch in die Mühlen der Kommunalpolitik ("Roßbergs Steckenpferd"). Kurze Zeit später, am 26. Juni 2006, verweigerte der Ausschuß für Finanzen und Liegenschaften der Stadt Dresden die Bereitstellung zusätzlicher Mittel (in Höhe von zunächst 201.570,- EURO entsprechend der Vorlage V1282-FL 35-06) mit sieben zu vier Stimmen.

 

Müller beklagte das Ende des Projekts: Der finanzielle Aspekt sei zwar schmerzlich, aber zweitrangig. "Entscheidender ist, daß uns mit der Mittelstreichung gleichzeitig auch das politische Mandat entzogen wurde. Wir sind momentan politisch am Ende." (Quelle)

Immer wieder die Betonung des politischen Aspekts!

 

Die Nichtbewilligung weiterer Finanzmittel durch den Finanzausschuß polarisierte die Fraktionen im Stadtrat. Fast erwartungsgemäß ermöglichte ein Mehrheitsbeschluß vom 18. Januar 2007, beantragt von den Fraktionen Bündnis90/Die GRÜNEN und FDP, die Bereitstellung regulärer Haushaltmittel für Personal- und Sachkosten in verminderter Höhe von 92.000 Euro, und damit die Fortsetzung der Kommissionsarbeit.

 

Schon kurz danach, im Februar 2007, informierte die Kommission (anstelle eines vorgesehenen "Workshops") in einer Ausstellung im Dresdner Rathaus über den Stand ihrer bisherigen Arbeit. Ihren Untersuchungsauftrag realisierte sie in vier Teilprojekten, an denen mehrere Arbeitsgruppen beteiligt waren. Ein großer Teil der Einzelprojekte war zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen.

 

Danach dauerte es fast zwei Jahre bis sie im Oktober 2008 anläßlich des 47. Deutschen Historikertages in Dresden ihr „vorläufiges Endergebnis“, sowie ihre „Erklärung zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945“ präsentierte.

In zwei Veranstaltungen (Titel: "Dresden und die unbekannten Toten") stellte sie ihre bisherigen Ergebnisse vor und gewährte Publikumsanfragen. Dazu ein lesenswerter Bericht  über einen Disput, der das Niveau dieser Kommission beispielhaft kennzeichnet.

 

Dem aufmerksamen Beobachter ist nicht entgangen, daß die Teilnahme der Historikerkommission am Historikertag lediglich dem Termin geschuldet ist, nicht aber ihrem Arbeitsergebnis, das noch immer nicht abgeschlossenen ist. Und so fragten sich viele Dresdner, wie lange die Kommission eigentlich noch arbeiten werde, eingedenk dessen, daß der damalige OB Roßberg die Ergebnisse ursprünglich schon Anfang 2006, dann Ende 2006/Anfang 2007 vorliegen haben wollte. Den sich auch über das Jahr 2009 hinziehenden Verlauf des Abschlußarbeiten beschreibt v. Leesen.

 

Nunmehr wurde der Abschluß für das Frühjahr 2010 angekündigt. Nachdem die Kommission der Stadtverwaltung in einer nichtöffentlichen Konsultation ihre Ergebnisse übergab, beendete sie am 17. März 2010 im Rahmen einer Schlußveranstaltung im Dresdner Rathaus ihre Arbeit. Seither kann die Öffentlichkeit über die zusammengefaßten Ergebnisse der Kommission befinden. Dazu gehören eine Buchpublikation mit Einzelberichten der Kommissionsmitglieder sowie unter www.dresden.de einsehbar: der Abschlußbericht, weitere ausgewählte Einzelbeiträge und ein interaktives Kartenwerk.

 

Die Oberbürgermeisterin Orosz, in Amtsfolge die Leiterin der Kommission, fehlte auf dieser Veranstaltung. Dafür gab Kulturbürgermeister Dr. Lunau eine Erklärung ab, in der sich die Stadtverwaltung einerseits anerkennend über die Arbeit der Kommission äußert, anderseits unmißverständlich von deren Ergebnissen distanziert. Dieser merkwürdige Spagat ist Ausdruck der jahrelangen, politischen Reibereien. Folglich wird es auch die ursprünglich angestrebte, nunmehr endgültige amtliche Totenzahl nicht geben.

Die Zahl „25.000“ dient fortan nur dem politischen bzw. geschichtspolitischen Gebrauch. Viele Dresdner und all jene Skeptiker, die den Zweck des Forschungsvorhabens von Anbeginn ahnten, fühlten sich damit bestätigt.

 

Letztendlich ist das ein deprimierendes Resultat für Müller, den wissenschaftlichen Leiter der Kommission und seine ohnehin als zutiefst heterogen wahrgenommene Kommission. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der gar nicht zur Kommission gehörende Institutsdirektor des Hannah-Arendt-Instituts Prof. Heydemann vom Podium aus eindringliche Worte an die erstaunten Anwesenden richtete, künftig jede Hinterfragung der Kommissionsergebnisse zu unterlassen.

 

Zur gegenwärtigen Situation:

Die Kommission existiert seit 2010 nicht mehr, und die Stadtverwaltung versteht sich nicht als Ansprechpartner für weiterführende Fragen. Dieser Zustand hat längst zu Mißbehagen geführt, denn die Erwartungen an die Überprüfbarkeit der Kommissionsergebnisse reichen weit über die veröffentlichten, summarischen Abschlußberichte hinaus. Ganz besonders gilt das für die personenbezogene Datenbank mit den Namen der Opfer.

Zum merkwürdigen Umgang der Stadtverwaltung mit den archivierten Kommissionsunterlagen und vielen Augenzeugenberichten - siehe Kapitel "Geheimniskrämerei". 









Zeitgeist

"Mythos Dresden" brechen!

  

Der ›Mythos Dresden‹ sollte gebrochen werden, nicht mit vorurteilsbehafteter Polemik, sondern mit Hilfe wissenschaftlicher Beweisführung ... – der Sammelband ›Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar‹ wird diesen Ansprüchen in vollem Maße gerecht. ... Es ging der Historikerkommission ... weniger um eine Neueinordnung Dresdens in jene zweifelhafte Rangliste [der höchsten Verluste im Bombenkrieg über Deutschland] als um die Beendigung der Spekulationen, die teils auch unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit verbreitet wurden.

 

Kirchliche Zeitgeschichte Contemporary Church History 24 (2011)

 

Schaarschmidt

zur Kommission

 

Dr. Wolfgang Schaarschmidt,

Viele Fragen bleiben offen JF/30.4.2010

 

Die Kommission ermittelte ihre Ergebnisse, ohne das ursächliche Ereignis vorzustellen und zu untersuchen. Sie geht davon aus, alle 25.000 Dresdner Bombenopfer seien geborgen und bestattet worden. Der Nachweis ist in sich logisch und umsichtig dargestellt und verknüpft. Da sie weder das Ereignis erforscht noch alle Fakten zum Bergungsverlauf herangezogen hat, ist die Sache auf ein Meßblatt projiziert, welches nicht zulänglich ist. Weder ist dargelegt, ob tatsächlich alle Unterlagen erhalten geblieben sind, noch überzeugt die Behauptung, nahezu alle Opfer der Luftangriffe seien geborgen worden. Diese Mängel nimmt die Kommission in Kauf, um ihre Zahlenangaben schlüssig vorzustellen.

 

 

 
 

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