Forschungsrahmen und methodisches Dilemma
Dem Ergebnis der Historikerkommission
(maximal 25.000 Tote im Februar 1945) liegen simple Voraussetzungen
zugrunde. Denen zufolge seien ...
1. ...
alle Dresdner Luftkriegstote, unabhängig von der Vielfalt der
Ereignissituationen, als menschlicher Körper bergungsfähig geblieben und geborgen,
2. ... alle
Geborgenen auch registriert worden,
3.
... alle Registrierungen heute noch lückenlos nachweisbar,
4. wobei die Dunkelziffer dieser Erfassung „nur“ im dreistelligen Bereich, also bei
mehreren Hundert liegt.
5. ...
die Bergungen auch deshalb vollständig, weil die Temperaturen für
eine Kremierungen d.h. Veraschung der Körper in Kellern und im Feuersturm nicht ausreichend
waren.
6. ...
auch verschüttete Keller durchgängig von Toten beräumt worden, trotz der
Umstände, daß systematische Bergungen wegen des militärischen Verteidigungsausbaus der Stadt Anfang April 1945 abgebrochen und zahlreiche
sog. „Tote Gebiete“ eingerichtet wurden, in denen das Betreten verboten
und Bergungen äußerst schwierig waren.
7. Aus
den "dokumentarischen Überlieferungen" schlußfolgert die
Kommission: Luftkriegstote unter den vielen Flüchtlingen (Bergander ca.
200.000,
Seydewitz ca. 600.000)
habe es kaum gegeben.
8. Fehlende
Bergungsunterlagen ließen sich durch später
auf Antrag ausgestellte amtliche Todeserklärungen ergänzen. Dabei geht die Kommission
davon aus, daß es für jeden vermißten Toten (einschließlich
Flüchtlingen, Gefangener, Fremdarbeitern usw.) auch einen Antragsteller
gegeben habe, und ...
9. ... die Informationen über Dresdens Luftkriegstote
auch im Berliner Standesamt Nr.1 registriert seien, weil laut Overmans „in Deutschland niemand unregistriert
starb und stirbt“.
Beispiele dieser Art ließen sich
fortsetzen. Zusammengenommen heißt das im
Umkehrschluß:
Was nicht gezählt und nicht registriert
wurde, hat es nicht gegeben !
Diese abstrakte Betrachtungsweise ist
tatsächlich nachlesbar im
Abschlußbericht der Kommission,
Seite 37 (zur Bergung):
Da die Kommission im Ergebnis anderer
Untersuchungen davon ausgeht, dass die in Dresden getöteten Menschen bis
auf sehr wenige Ausnahmen tatsächlich geborgen und bestattet worden
sind, lässt sich aus der Zahl der im Einzelfall nachgewiesenen
Bestattungen auf die Größenordnung der Zahl der Luftkriegstoten
schließen.
Oder auch hier, Seite 41 (zur
Beurkundung):
Der Untersuchungsansatz geht davon aus,
dass die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten in ihrer Größenordnung aus
der Zahl der standesamtlich beurkundeten Todesfälle und der gerichtlich
ergangenen Todeserklärungen ermittelt werden kann.
Das ist eine Denkweise, bei der die komplexen
Bedingungen und Vorgänge des Gesamtereignisses nicht
untersucht, und Unwägbarkeiten und Dunkelziffern außer Acht
gelassen wurden.
Kommissionsmitglied
Overmans muß sich dessen bewußt gewesen sein, denn er benennt
Einschränkungen, die sich die Kommission als „nächstliegende
Methode“ auferlegt hat:
Versucht man, die Zahl der Todesfälle
im Ergebnis der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 zu ermitteln,
stößt man auf ein grundsätzliches Problem. Die nächstliegende Methode,
solche Verluste zu bestimmen, besteht darin, die Zahl der Leichen,
der registrierten Todesfälle oder sonstige Daten
zu
erfassen und diese als die Summe der Opfer zu betrachten.
Zweifler werden einer solchen Vorgehensweise immer entgegen halten,
diese Methode ignoriere unerfasste Sterbefälle oder nicht geborgene
Leichen. Ganz besonders ausgeprägt ist dieser Zweifel im Fall Dresdens.
(Hervorhebungen / Bü.)
Das heißt: die Kommission orientiert auf
einschränkende Bedingungen und betrachtet die so erfaßten Zahlen als
Gesamtsumme der Opfer.
Dieser in sich widersprüchliche Ansatz ist der
Kern ihrer
als „wissenschaftlich“
bezeichneten Vorgehensweise.
Overmans scheint diese
Unvereinbarkeit zu ahnen, denn er gibt zu bedenken:
Die
Unsicherheit über die Zahl der Personen, die sich zum Zeitpunkt der
Angriffe auf Dresden in der Stadt aufhielten, erlaubt die Entstehung von
Spekulationen, hunderttausende Menschen seien den Bombenangriffen zum
Opfer gefallen und anschließend spurlos verbrannt, unregistriert
verscharrt oder nie geborgen worden. Einer solchen Argumentation wird
man nie abschließend mit dem Verweis auf die Zahl der registrierten
Toten entgegnen können.
(Quelle:
Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden
zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Teilprojekt Statistische
Erhebungen im Vergleich Leitung: Dr. Rüdiger Overmans)
Neutzner
äußert sich
im gleichen Sinn, womit die Kommission selbst alles über
ihren Forschungsrahmen und ihr methodisches Dilemma sagt.
Dazu sei angemerkt:
Randbedingungen sind in der Forschung üblich, zumeist
sogar notwendig, um Grenzen und Umfang einer wissenschaftlichen Arbeit
festzulegen. Allerdings müssen diese Bedingungen bei der akademischen
Verteidigung der Ergebnisse, wie auch in späteren Veröffentlichungen
ausdrückliche Erwähnung finden. Alles andere wäre Täuschung.
Und genau mit
diesem Makel der
(politischen) Täuschung ist das Zahlenergebnis der Kommission behaftet, weil es eine angeblich
wissenschaftlich begründete Obergrenze aller Dresdner Bombenopfer
festschreibt.
Damit macht sie sich angreifbar.
Ungeachtet dessen ist die Zusammenfassung der
„dokumentarischen Überlieferungen“ ein
bedeutender
Beitrag zur lokalen Geschichtsschreibung. Die
Veröffentlichung der namentlich erfaßten Bombenopfer
könnte, wie schon vielfach gefordert, Dresdens
Gedenkkultur dienlich sein.
Die
Kommission konnte
ihre
These, daß tatsächlich alle Bombenopfer unter den Trümmern geborgen
worden seien, nicht belegen, ebensowenig wie eine von ihr
angestrebte
Bevölkerungsbilanz und die Erhebung der Vielzahl der in
Dresden befindlichen Flüchtlinge, Evakuierten, Fremdarbeiter, Kriegsgefangenen und
Verwundeten.
Eine sachlich-kritische Verteidigung ihrer Ergebnisse
hat nie stattgefunden. Und selbst wenn die Kommission dazu
herausgefordert worden wäre, als
ansprechbare Körperschaft existiert sie nicht mehr.
Auch die
Dresdner
Stadtverwaltung
als nächstmöglicher Vermittler erklärt sich
nicht
für zuständig.
Doch damit nicht
genug: Der Zugang zu den protokollarischen
Unterlagen, zu den Arbeitsbelegen des Zahlenwerks, insbesondere zur
personengenauen Datenbank, wird der Öffentlichkeit
beharrlich verwehrt,
trotz wiederholter Beteuerungen
von
Transparenz, Überprüfung und Namensveröffentlichungen.
Mehr dazu unter Menüpunkt
"Geheimniskrämerei".
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Das Ergebnis
der Kommission besagt:
Bei den
Bombenangriffen
auf Dresden im Februar 1945 sind maximal 25.000 Menschen
umgekommen.
Davon sind 20100 Tote
(80%)
sogar namentlich bekannt.
Und so äußerten sich sachkundige Zeitzeugen:
Walter Lange,
Leiter des Dresdner Stadtarchivs nach 1945
(Aktennotiz
vom 6.7.1964)
Es sind bei den ersten
Beräumungs-arbeiten unmittelbar nach den Angriffen die Toten
nicht alle registriert worden,
was ich persönlich im März 1945 in der
Albrechtstraße, Pillnitzer Straße und Seidnitzer Straße festgestellt
habe. [... ]
Da ich nach dem 8. Mai feststellen konnte, daß Knochenreste, darunter
auch Schädel, auf die Trümmer-massen geworfen worden sind,
sind bestimmt nicht alle Luftkriegstoten
registriert und erfaßt worden.
Hanns Voigt, Leiter der
„Abteilung Tote“ der Dresdner Vermißtenzentrale
Erinnerungen
Nie habe ich geglaubt, daß
der Tod in so verschiedener Form an den Menschen herantreten kann, nie
habe ich für möglich gehalten, daß der Tote in so vielen Gestalten den
Gräbern übergeben werden könnte:
Verbrannte, Verkohlte,
Zerstückelte, ...
Sein Bericht
In den ersten Tagen nach den
Angriffen wurden die Leichen in Haufen in den zugänglichen Straßen zur
Abfuhr nach den Friedhöfen bereitgelegt. [...] Um die Arbeit zu
beschleunigen, wurde ein Teil der Toten auf dem Heidefriedhof abgelegt.
Sie sollten dort identifiziert werden. Da die Kripo diese Aufgabe nicht
bewältigen konnte, stapelten sich dort Anfang März etwa 3000 Leichen.
Der Polizeipräsident ordnete die Beerdigung ohne Identifizierung an.
Der
Vermißtennachweiszentrale war damit der Zugriff auf Zahlen oder Daten
unmöglich.
Friedhofsgärtner Zeppenfeld, Heidefriedhof
Wir zählten die Köpfe. ..
Die aus den Kellern gekommenen verstümmelten und verbrannten Leichen,
bei denen der Kopf mitverbrannt oder zerfetzt war, konnten ebensowenig
mitgezählt werden wie die im Feuersturm verbrannten.
Situationsbeschreibung
Notiz zum
13.2.1945
Aus einem Bergungsbericht
Große Plauensche
Straße 18
Sie zeigten noch
den Körperbau, die Schädelform, waren aber ohne Bekleidung, Augen und
Haare. Beim Berühren fielen sie
in Asche zusammen und zwar restlos, ohne Skelett oder
irgendwelche einzelne Knochen.
Stadtarchiv Dresden
Aus dokumentarischen Belegen
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